** english version below **
Liebe Freund*innen,
Am Samstag, den 14.03.20 haben wir uns dazu entschieden, den Militanten Feminismus Kongress Ende März zu verschieben. Uns ist klar geworden, dass er unter den aktuellen Umständen nicht wie geplant hätte stattfinden können. Wir denken, dass sich dieser Kongress in aktuelle Kämpfe einfügt und bei der Frage „Wie weiter?“ wichtige Impulse bereit stellen kann. Während der Kongressplanung haben wir unglaublich viel positive Resonanz erhalten und Eigeninitiative von Menschen erlebt. Das hat uns sehr gefreut und immer wieder aufs Neue motiviert. Denn es zeigt uns umso mehr wie sehr wir diesen Kongress mit euch machen wollen, um uns in unseren Analysen und Praktiken mit euch gemeinsam zu entwickeln. Wir werden ihn daher definitiv zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden lassen.
Warum verschoben?
Wir glauben, dass der Kongress einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Diskussionen liefert. Dabei ist es uns wichtig, allen Leuten, die das Interesse teilen, die Teilnahme zu ermöglichen. Dies ist zur Zeit durch diverse Umstände nicht möglich: Durch die Schließung verschiedener Grenzen ist klar, dass internationale Gäste große Schwierigkeiten bei der Anreise gehabt hätten. Auch Menschen aus, und in Kontakt mit Riskiogruppen hatten uns bereits abgesagt. Wir gehen davon aus, dass weitere Absagen aus verschiedenen Gründen diese Woche gefolgt wären. Uns allen fällt es gerade schwer, die Lage einzuschätzen. Wir können das Risiko des Virus und die möglichen gesundheitlichen Konsequenzen, die ein Kongress mit vielen Menschen in gemeinsamen Räumen mit sich bringt, nicht absehen. Wir sind außerdem nicht darauf vorbereitet, mit den vielen neuen und sich täglich ändernden Regeln und Reglementierungen umzugehen. Die repressiven Folgen für die Teilnehmenden sind derzeit nicht einschätzbar. Wir wissen nicht, wie die Entwicklungen der nächsten Woche aussehen werden, ob es noch mehr offizielle Einschränkungen geben wird und wie diese überwacht werden.
Weitere erste Gedanken zur aktuellen Situationn
Die Gefahr des Virus und der eingeleiteten restriktiven Maßnahmen stellen einen erheblichen Einschnitt in unsere Leben dar. Es ist wichtig, dass wir die politische Dimension dessen diskutieren, die Situation einordnen und weiter beobachten. Deswegen glauben wir auch, dass es gut und wichtig ist, dass Leute trotzdem und gerade deswegen achtsam weiterhin zusammenkommen. Wir wollen die Ängste und Unsicherheiten, die es gerade gibt, wahrnehmen und ernst nehmen. In Bezug auf den Virus und in Bezug auf die Maßnahmen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die damit einhergehen. Wir denken es ist wichtig, aufmerksam zu bleiben und zu schauen, was von staatlichen Organen repressiv passiert und sich gesellschaftlich normalisiert, wie z.B. die Abschottung an den Grenzen. Ganz schnell werden Rechte eingeschränkt und in den Medien wird eine Stimmung hergestellt, die eine Legitimierung für diese krassen Einschränkungen bereit stellt. Die aktuellen Entwicklungen können zu einer Verschärfung der Verhältnisse auf rassistischer, patriarchaler und kapitalistischer Ebene führen. Kräfte werden sich verschieben und neu aufstellen. Da müssen auch wir uns stärken und zusammen halten. Wir sehen weder in der Ausweitung des Individualismus und der Isolierung noch in einer völkischen Solidargemeinschaft ein legitimes Mittel, um auf diese Situation zu reagieren! Wir dürfen nicht vergessen, dass nicht der Virus an sich sondern die Herrschaftsstrukturen für das Ausmaß der „Krise“ verantwortlich sind. Diese Herrschaftsverhältnisse müssen für eine Verbesserungen unser aller Leben abgeschafft werden!
„Die Stadt steht still.“ Diesen Satz hören wir in diesen Tagen häufig. Aber die repressiven Organe stehen nicht still, Räumungen finden weiter statt, wie z.B. aktuell in Athen. Wir gehen davon aus, dass sie auch weiterhin stattfinden werden. Still stehen auch nicht die laufenden Kosten vieler prekärer Menschen, welche plötzlich Zugang zu Lohn verloren haben, aber weiterhin Miete und Rechnungen zahlen müssen. Still steht auch nicht die Arbeit derer, die ihre Tätigkeit nicht einfach ablegen können und die jetzt durch die Situation mehrfach belastet sind. Still steht auch nicht die rassistische Gewalt an den Grenzen, welche Menschen weiterhin abschottet, verletzt und tötet. Still stehen nicht die transfeindlichen, rassistischen und sexistischen Übergriffe auf der Straße und „zu Hause“. Im Knast und allen anderen einsperrenden Institutionen werden die sozialen Möglichkeiten eingeschränkt und das lässt Menschen darin mit ihrer Situation vielfach alleine. Es wird erneut deutlich, dass die Bewegungsfreiheit und Gesundheit einiger wichtiger ist als die von anderen.
Wir wollen keinen Trend zur sozialen Isolierung und freiwilligen Selbsteinsperrung. Wir sehen unsere gesellschaftliche Verantwortung nicht darin, uns zu isolieren sondern gemeinsam Widerstand zu leisten und weiter für die Freiheit aller einzustehen. Wir treffen uns weiter, wenn auch in veränderter Form, weil wir selbst auch verunsichert über die Auswirkungen des Virus sind. So treffen wir uns z.B. nun tagsüber draußen (weil die Sonne noch scheint) und in kleiner Gruppe mit genug räumlichem Abstand, umarmen uns nicht und halten Hygieneempfehlungen ein. Wir finden es wichtig, uns in unseren verschiedenen Betroffenheit zu unterstützen, über unsere Ängste zu sprechen, uns gegenseitig zu fragen, was wir grade (voneinander) brauchen und auch Ideen zur Minimierung der Ansteckungsgefahr miteinander zu besprechen. Aber eben auch unsere ökonomischen, politischen und sozialen Ängste und die darin liegenden Herausforderungen. Die Gefahr in dieser „Krise“ ist nämlich auch, dass völlig auf individuelle Lösungen gesetzt wird. Die Lösung ist nicht, dass wir vereinzeln und uns sozial distanzieren, sondern, dass wir aufeinander acht geben. Unsere Stärke besteht ja nicht darin, dass wir Macht haben, sondern darin, dass wir viele sind. Der Ausdruck und die Mittel unserer Kämpfe werden durch die Einschränkung von sozialen Räumen erschwert. Wie können wir darauf reagieren? Wie bleibt Widerstand weiterhin möglich? Denn nötig bleibt er. Es genügt definitiv nicht in digitalen Räumen zusammenzukommen. Gerade militante Kämpfe lassen sich meist nicht ins Internet verschieben.
Neben dem Aufruf zum „Social Distancing“ und „Hamsterkäufen“ für die Kleinfamilie, können wir derzeit aber auch beobachten, dass Menschen sich unter den neuen Bedingungen kollektiv in bsw. ihren Nachbarschaften selbst organisieren. Sie warten nicht auf den Staat, um ihren Alltag zu organisieren. Das bedeutet eine Chance um Kollektivität, Selbstorganisierung und Solidarität, die wir in unseren Kämpfen leben, auszuweiten. Nur beschränkt sich dies für uns nicht auf die von Corona bestimmte Zeit.
Wir kämpfen für Solidarität statt Herrschaft, vor, während und nach Corona. Der Sicherheitsdiskurs verschiebt sich grade extrem und scheint emanzipatorische und freiheitliche Ausdrücke zu erschweren. Daher hoffen wir auf weitere Diskussionen und militant feministische Analysen und Aktionen zur aktuellen Situation!
Das Problem bleibt Rassismus, Kapitalismus und Patriarchat.
Eure Mili*s
Stand der Dinge: 15.03.2020
weitere interessante Texte:
- https://crimethinc.com/2020/03/12/gegen-das-coronavirus-und-den-opportunismus-des-staates-anarchistinnen-aus-italien-berichten-uber-die-ausbreitung-des-virus-und-die-quarantane
- https://www.women-in-exile.net/en/die-covid-19-pandemie-und-fluechtlingslager/
[EN]
Militant Feminism Congress postponed – our first thoughts on the current situation
Dear friends,
On Saturday 14.03.20 we decided to postpone the Militant Feminism Congress at the end of March. It became clear to us that it could not have taken place as planned under the current circumstances. We think that this congress fits into current struggles and can provide important impulses on the question „How to go on?“. During the planning of the congress we have received an incredible amount of positive feedback and have experienced people’s own initiative. We were very pleased about this and have been motivated time and again. Because it shows us all the more how much we wanted to do this congress with you, to develop together with you in our analyses and practices. Therefore we will definitely let it take place at a later date.
Why postponed?
We believe that the congress makes an important contribution to current discussions. It is important to us to allow all people who share these interests to participate. This is currently not possible due to various circumstances: Due to the closing of various borders it is clear that international guests would have had great difficulties arriving. Also people from, and in contact with risk groups had already cancelled. We assume that further cancellations for various reasons would have followed this week. We all find it difficult to assess the situation at the moment. We cannot foresee the risk of Covid 19 and the possible health consequences of a congress with many people in common rooms. We are also not prepared to deal with the many new and daily changing rules and regulations. The repressive consequences for the participants cannot be assessed at present. We do not know what developments will take place next week, whether there will be more official restrictions and how these will be monitored.
Further initial thoughts on the current situation
The threat of the virus and the restrictive measures introduced represent a considerable cut in our lives. It is important that we discuss the political dimension of this, that we assess the situation and that we continue to monitor it. That is why we also believe that it is good and important that people continue to meet in spite of this and for this very reason. We want to be aware of the fears and uncertainties that exist at the moment and take them seriously. In relation to the virus and in relation to the measures and social developments that go along with it. We think it is important to remain attentive and to look at what is happening in terms of repression by state organs and what is being normalising socially, such as the sealing off at the borders. Very quickly rights are restricted and a mood is created in the media that provides legitimacy for these blatant restrictions. The current developments can lead to a worsening of conditions on a racist, patriarchal and capitalist level. Forces will shift and reposition themselves. We too must strengthen and hold together. We see neither the expansion of individualism and isolation nor a national community of solidarity as a legitimate means of reacting to this situation! We must not forget that it is not the virus per se but the structures of power that are responsible for the extent of the „crisis“. These power structures must be abolished in order to improve all our lives!
„The city stands still.“ We hear this sentence often these days. But the repressive organs do not stand still, evictions continue, as is currently the case in Athens. We assume that they will continue. Nor do the running costs of many precarious people who have suddenly lost access to wages but still have to pay rent and bills. Nor does the work of those who cannot simply give up their job and who are now burdened by the situation on several occasions stand still. Nor does the racist violence at the borders, which continues to isolate, hurt and kill people, stand still. The trans-enemy, racist and sexist attacks on the street and „at home“ do not stand still. In prison and all other confining institutions the social possibilities are restricted and this leaves people in prison often alone with their situation. It becomes clear again that the freedom of movement and health of some is more important than that of others.
We do not want a trend towards social isolation and voluntary self-locking. We see our social responsibility not in isolating ourselves but in resisting together and continuing to stand up for the freedom of all. We continue to meet, albeit in an adapted form, because we ourselves are also uncertain about the effects of the virus. For example, we now meet outside during the day (because the sun is still shining) and in small groups with enough space between us, do not hug each other and follow hygiene recommendations. We find it important to support each other in our different ways of being affected, to talk about our fears, to ask each other what we just need (from each other) and also to discuss ideas to minimise the risk of infection. But also our economic, political and social fears and the challenges they pose. The danger in this „crisis“ is also that individual solutions are completely relied upon. The solution is not that we isolate and socially distance ourselves, but that we take care of each other. Our strength is not that we have power, but that we are many. The expression and means of our struggles are made more difficult by the restriction of social spaces. How can we react to this? How can we continue to resist? Because it remains necessary. It is definitely not enough to come together in digital spaces. Especially militant struggles usually cannot be moved to the internet.
In addition to the call for „social distancing“ and haording for the nuclear family, we can currently also observe that people under the new conditions collectively organise themselves in eg. their neighborhoods. They are not waiting for the state to organise their everyday life. This can mean an opportunity to expand collectivity, the self-organisation and solidarity that we live in our struggles. Only for us this is not limited to the time determined by Corona.
We fight for solidarity instead of domination, before, during and after Corona. The security discourse is currently shifting to the extreme and seems to make emancipatory and expressions of Freedom more difficult. Therefore we hope for further discussions and militant feminist analyses and actions on the current situation!
The problem remains to be racism, capitalism and patriarchy.
Your mili*s
State of affairs: 15.03.2020
other interessting texts:
- https://crimethinc.com/2020/03/12/against-the-coronavirus-and-the-opportunism-of-the-state-anarchists-in-italy-report-on-the-spread-of-the-virus-and-the-quarantine
- https://www.women-in-exile.net/en/die-covid-19-pandemie-und-fluechtlingslager/ (article in german language about situation in refuggee camps referring corona virus)